Illegales Glücksspiel, Seemannstätowierungen und Börsenspekulationen – das sind nicht unbedingt Dinge, die man mit dem Haus Habsburg in Verbindung bringt. Doch wer die privaten Familienarchive des Kaiserhauses durchforstet, stößt auf allerhand Überraschendes und gewinnt ein Bild über die heimlichen Hobbys und privaten Leidenschaften der Habsburger jenseits höfischer Konventionen. Das zeigen aktuelle Recherchen der Wiener Historikerin Katrin Unterreiner.

Die gesellschaftlichen Rollen der Mitglieder des Kaiserhauses waren strikt vorgegeben. Wenn die eigenen Interessen nicht in dieses Korsett passten, war es offiziell unmöglich, diesen nachzugehen. "Dies galt besonders für kostspielige Spleens, die das Image der nach außen betont bescheiden auftretenden Habsburger gefährdet hätten", sagt Unterreiner, die ihre Funde soeben im Buch Sisi & Co: Die Geheimen Leidenschaften der Habsburger (Ueberreuter 2024) veröffentlicht hat.

Maria Theresia Denkmal
Maria Theresia ist vor allem für ihre Reformpolitik bekannt, weniger für ihr ausgeprägtes Faible für das Glücksspiel "Pharao".
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Süchtig nach Pharao

Dazu zählte beispielsweise das Glücksspiel, das so gar nicht zum Bild passen wollte, das die Kaiserfamilie nach außen abgeben wollte. So war kaum bekannt, dass Kaiserin Maria Theresia eine passionierte Gamblerin war. Besonders schätzte sie das Kartenspiel Pharao.

Erzherzogin Maria Anna
Maria Anna verschrieb sich im 18. Jahrhundert der Archäologie, unterstützt wurde sie dabei von ihrem Vater Kaiser Franz Stephan.
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Aus den Aufzeichnungen der Tochter ihrer Hofdame geht hervor, dass Pharao-Partien zum täglichen Programmpunkt in Maria Theresias Tagesablauf gehörten. Von sieben bis halb neun Uhr abends widmete sich die Kaiserin allabendlich dieser Beschäftigung – und das äußerst erfolgreich, denn sie war für ihr außergewöhnliches Spielglück bekannt. Ein abruptes Ende fand ihre Leidenschaft 1758, als sich die Kaiserin dazu gezwungen sah, dass beliebte Spiel anderen zu verbieten. Ihre Berater hatten darauf gedrängt, denn nicht nur Maria Theresia war spielsüchtig geworden, auch in der Wiener Bevölkerung hatte sich ein " Pharao-Exzess" entwickelt. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, stellte auch die Kaiserin ihre Pharao-Partien ein, jedoch nur vorübergehend: In der Sommerresidenz Schloss Laxenburg hielt das inzwischen illegale Spiel dann wieder Einzug in die kaiserliche Abendgestaltung.

Akademische Ambitionen

Eine ganz andere große Leidenschaft, die sich durch die Biografie zahlreicher Habsburgerinnen und Habsburger zieht, ist die Wissenschaft. Die offizielle Haltung des Kaiserhauses zu akademischen Unternehmungen änderte sich aber im Laufe der Jahrhunderte enorm. Unter Maria Theresia hielten Wissenschaft, Bildung und die Ideale der Aufklärung vorübergehend am Wiener Hof Einzug.

Diese aufklärerische Phase endete jedoch jäh mit der Regentschaft ihres Enkels Kaiser Franz II./I. ab 1804. Nun war Bildung oder gar ein wissenschaftliches Studium für die Mitglieder der Kaiserfamilie ausdrücklich untersagt. "Es ist interessant zu sehen, dass es hier eine große Diskrepanz gibt zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert", sagt Unterreiner. "Nicht nur, aber speziell die Frauen waren davon betroffen, weil sie wieder in den Hintergrund gedrängt wurden."

Eine Habsburgerin, die besonders von der aufklärerischen Stimmung des 18. Jahrhunderts profitierte, war Erzherzogin Maria Anna, eine der Töchter Maria Theresias. Als Kind litt sie an einer schweren Lungenkrankheit, die zu einer gekrümmten Wirbelsäule führte. Bei Hofe galt sie deshalb als "nicht heiratsfähig", wodurch der für sie vorgezeichnete Weg jener ins Kloster war. Für Maria Anna hatte das aber durchaus Vorteile. Sie war zwar nominell einem Kloster zugeordnet, residierte aber weiterhin am kaiserlichen Hof in Wien und konnte unbehelligt ihren naturwissenschaftlichen Interessen nachgehen.

Archäologie statt Heirat 

Auch Maria Annas Vater, Kaiser Franz Stephan von Lothringen, war an Wissenschaft interessiert, ermöglichte seiner Tochter eine umfassende Bildung und ließ sie auf Augenhöhe mit seinen wissenschaftlichen Beratern agieren. Durch Börsenspekulationen hatte er, unbemerkt von der Öffentlichkeit, große Geldsummen verdient, mit denen er wissenschaftliche Unternehmungen finanzierte. Maria Anna stand als Erwachsene mit den führenden Wissenschaftern ihrer Zeit in Kontakt und galt als Kapazität in mehreren naturwissenschaftlichen Bereichen. Ihre Mineraliensammlung bildete den Grundstein für das Naturhistorische Museum.

Nach dem Tod ihrer Mutter übersiedelte sie 1781 nach Klagenfurt und war dort an den Ausgrabungen von Virunum beteiligt – sie engagierte sich nicht nur bei der Finanzierung, sondern war auch selbst als Archäologin im Feld aktiv. "Maria Anna hat im Wissenschaftsleben ganz offiziell eine Rolle gespielt", sagt Unterreiner. "Aber die Frauen in der nächsten Generation haben sich viel schwerer getan, die konnten das gar nicht so offen leben und konnten das nur machen, wenn sie nicht in der Öffentlichkeit gestanden sind."

Kaiser Franz Stephan im Bild mit seinen wissenschaftlichen Beratern Gerard van Swieten, Johann Ritter von Baillou, Valentin Jamerey-Duval, Jean François de Marcy.
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Konventionelle Rollenbilder

Nachdem die aufklärerischen Ideale wieder in den Hintergrund gerückt waren, kamen auch den Habsburgerinnen wieder konventionelle Rollenbilder zu. "Es ist absurd, dass es im 18. Jahrhundert viel leichter war, Talenten und auch wissenschaftlichen Interessen nachzugehen, als im 19. Jahrhundert, wo man das im Geheimen machen musste."

Dass Wissenschaft und Bildung im Hause Habsburg ab dem 19. Jahrhundert geringgeschätzt wurden, hatte laut Unterreiner weitreichende Folgen: Kaiser Franz Josef wurde in konservativ-klerikalem Geist bei Hofe dazu erzogen, "brav seine Pflicht zu erfüllen". Seine Frau Sisi ließ er zwar in ihrer Freigeistigkeit gewähren, angesteckt wurde er davon aber nicht. So war er entsetzt, als sie von einer ihrer geliebten Schiffsreisen mit einem besonderen Souvenir nach Hause kaum: Als Zeichen ihrer Verbundenheit mit den Seefahrern hatte sie sich einen Anker auf die Schulter tätowieren lassen. "Als Papa eintrat, fragte er mich, ob ich wohl schon über die furchtbare Überraschung geweint habe", erinnert sich die Tochter Marie Valerie später daran.

Die konservativen, antiaufklärerischen Tendenzen der Habsburger verliefen parallel "zu einem wissenschaftlichen Aufbruch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo das Bildungsbürgertum, das der eigentlicher Träger dieser Gesellschaft war, viel aufbaute", sagt Unterreiner. "Die Habsburger haben sich durch ihre Bildungsfeindlichkeit total ins Out manövriert, und das ist ihnen schlussendlich auch auf den Kopf gefallen." Dass Kaiser Karl nur kurz auf dem Thron saß, sei nicht allein dem Verlauf des Ersten Weltkriegs geschuldet gewesen. "Es hatte auch damit zu tun, dass er überhaupt kein gebildeter Mensch war und nicht teilgenommen hat am wissenschaftlichen Diskurs."

Begeisterte Motoristin

Erst zum Ende der Monarchie konnten sich bei den Habsburgern wieder modernere Kräfte durchsetzen. Besonders sticht dabei Erzherzogin Margaretha hervor. Unverheiratet und kinderlos spielte sie im öffentlichen Leben keine Rolle und konnte sich ganz auf ihre Interessen konzentrieren. Sie war eine talentierte Fotografin, die sich mit den modernsten Methoden des Mediums befasste. Außerdem war sie eine begeisterte Automobilistin und die erste Habsburgerin, die 1911 einen Führerschein machte. Und sie nahm als erste Habsburgerin an einer Ballonfahrt teil, was im frühen 20. Jahrhundert noch ein besonders abenteuerliches und gefährliches Unterfangen war.

Erzherzogin Margaretha war begeisterte Motoristin und machte als erste Habsburgerin 1911 den Führerschein.
Kosel, Hermann Clemens / ÖNB-Bil

Warum die geheimen Leidenschaften der Habsburger bisher noch kaum im Fokus der Forschung standen, erklärt Unterreiner mit der dürftigen Quellenlage. "Man muss wirklich das Glück haben, dass man im Nachlass der Familien noch Aufzeichnungen findet, in denen man diesen Personen ein bisschen näherkommt." (Tanja Traxler, David Rennert, 27.4.2024)