Panorama von Innsbruck
Innsbruck wählt am Sonntag seinen neuen Bürgermeister. Zur Auswahl stehen Amtsinhaber Georg Willi von den Grünen und Ex-ÖVP-Mann Johannes Anzengruber.
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Wer bessere Karten für den Sieg in der Stichwahl hat, lässt sich vorab nicht prognostizieren – zumindest nicht wissenschaftlich seriös. Da sind sich Politologinnen und Politologen einig. Denn nicht nur lagen Amtsinhaber Georg Willi von den Grünen (22,9 Prozent) und sein Herausforderer, Ex-ÖVP-Vizestadtchef Johannes Anzengruber (19,4 Prozent), im ersten Wahlgang der Bürgermeisterwahl in Innsbruck vor zwei Wochen nur knappe 3,5 Prozent auseinander. Noch schwieriger macht eine Einschätzung die politische Pattstellung zwischen Wählerinnen und Wählern links und rechts der Mitte nach Wahlgang eins: Die Parteien im Mitte-Links- und Linksspektrum erhielten zusammen praktisch gleich viele Stimmen wie die moderat rechts und weiter rechts angesiedelten Listen.

In Innsbruck tippen nicht wenige auf einen Sieg des Herausforderers Anzengruber. Entscheidend für den Stichwahl-Sieg wird aber nicht zuletzt sein, wie viele Wählerinnen und Wähler, die im ersten Durchgang weder Willi noch Anzengruber ihre Stimme gegeben haben, am Sonntag überhaupt in ein Wahllokal gehen. Viele Prozentpunkte gebe es da von jenen zu holen, die ihr Kreuz bei FPÖ-Kandidat Markus Lassenberger oder SPÖ-Kandidatin Elisabeth Mayr gemacht haben. Mit 15,9 beziehungsweise 15,2 Prozent waren auch das zwei praktisch gleich große Lager. Selbst wenn man davon ausginge, dass Wählerinnen und Wähler der SPÖ nun eher für Willi, jene der FPÖ eher für Anzengruber stimmen würden, wäre das Rennen weiter offen. Und dann gibt es da eben den völlig unbekannten Faktor: Wie viele von ihnen gehen überhaupt zur Stichwahl?

Zeichen deuten auf Caprese

Unklar ist auf den ersten Blick auch, wie eine künftige Koalition im Innsbrucker Gemeinderat aussehen könnte – vor allem, weil es mit acht Listen eine recht bunte Vielfalt ins Stadtparlament geschafft hat. Bei näherer Betrachtung zeichnet sich dann aber doch eine Variante ab, die deutlich wahrscheinlicher ist als jede andere: die von Bürgermeister Willi favorisierte "Caprese-Koalition" aus Grünen, SPÖ und Anzengrubers Liste "JA" (ihre Parteifarbe wird als weiß dargestellt). Und das recht unabhängig davon, ob Willi oder Anzengruber neuer Bürgermeister der Hauptstadt Tirols wird. Denn: die rechnerischen Möglichkeiten kombiniert mit dem realpolitisch Denkbaren und bereits ausgeschlossenen Varianten machen jedes andere politische Arbeitsübereinkommen vergleichsweise unplausibel.

Im Innsbrucker Gemeinderat gibt es nämlich 40 Mandate. Heißt: Für eine politische Mehrheit braucht es 21 davon. Koalitionsvarianten mit nur zwei Parteien fallen deshalb durch das Wahlergebnis weg. Eine Mitte-rechts-Koalition aus JA, FPÖ und Florian Turskys De-facto-ÖVP-Liste "Das neue Innsbruck" hätte zusammen nur 19 Mandate (siehe Grafik). Eine Koalition rechts der Mitte ließe sich allerdings formen, wenn sich die kleine Liste Fritz, eine liberale ÖVP-Abspaltung, noch hinzugesellen würde. Deren Frontfrau Andrea Haselwanter-Schneider schloss diese Koalitionsvariante aber bereits als "Koalition der Verlierer" aus.

Rechenspiele versus politische Realität

Rein rechnerisch ebenfalls möglich wären Koalitionen quer durch das politische Spektrum. Eine Variante aus Grünen, SPÖ und FPÖ käme zum Beispiel auf die nötigen 21 Mandate. Willi hat eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen aber bereits ausgeschlossen. Ebenso auf 21 Sitze im Stadtparlament käme eine Koalition aus JA, FPÖ und SPÖ – an der aber die Sozialdemokratie nicht eben dringliches Interesse bekundet hat.

Optionen mit vier oder mehr Partnern wären wohl ohnehin nur etwas für überraschende politische Notlagen. Denn in fast jedem politischen Mikrokosmos machen Regierungsformen mit mehr Parteien als für eine Mehrheit nötig, Einigungen und die Umsetzung von Projekten nur schwieriger. Das gilt erst recht für das in dieser Hinsicht spezielle Pflaster Innsbruck, wo sich bereits fast jede Gemeinderatsfraktion schon gespalten hat – und wo Intrigen, Zank und politische Blockaden die sechsjährige Amtszeit des grünen Stadtchefs prägten. Weder Willi noch Anzengruber dürften nach den zermürbenden Erfahrungen der vergangenen Legislaturperiode inklusive zerbrochener Koalition und "freiem Spiel der Kräfte" im Gemeinderat große Ambitionen haben, das Risiko auf mehr Streit und Kabale noch zu erhöhen.

Trio auf dem Fahrrad

Summa summarum bleibt als wahrscheinliche neue Koalition am Inn also die vom Amtsinhaber angestrebte "Caprese-Koalition" – ob unter Vorsitz Anzengrubers oder Willis. Im Gegensatz zu letzterem, der in den vergangenen zwei Wochen bereits Sondierungsgespräche geführt hat, hat sich Anzengruber zwar bewusst mit Koalitionsansagen zurückgehalten. Die normative Kraft des Realpolitischen wird aber auch für den Ex-ÖVPler ein schlagkräftiger Faktor werden. Selbst, wenn er damit indirekt den Wahlplakaten seines schwarzen Widersachers Florian Tursky "recht geben" würde: Auf diesen hatten die ÖVP-Campaigner Anzengruber gemeinsam mit Willi und SPÖ-Kandidatin Mayr auf einem Fahrrad abgebildet, um vor einer Koalition des Trios zu warnen. Und dem Gepäckträger gleich noch eine Sowjet-Flagge verpasst – warum genau auch immer.

Die Wahllokale öffnen übrigens um 7.30 Uhr und schließen - so wie auch schon vor zwei Wochen - bereits um 16.00 Uhr. Wahlberechtigt sind 100.564 Innsbruckerinnen und Innsbrucker. Zwischen 18.00 und 19.00 Uhr wird dann ein Ergebnis erwartet. Sprengelresultate und Hochrechnungen werden vorher nicht veröffentlicht. (Martin Tschiderer, 27.4.2024)