Trotz ihrer Brisanz fand die Aussage erstaunlich wenig Beachtung. Während ihrer Befragung im U-Ausschuss zum "rot-blauen Machtmissbrauch" am 10. April sagte die hochrangige, mittlerweile pensionierte BVT-Mitarbeiterin Sibylle G. – unter Wahrheitspflicht – aus, dass nach der berüchtigten Razzia in der Zentrale des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ein Dokument nicht mehr auffindbar war. Und zwar der Ausdruck einer E-Mail, in welcher der Neonazi Gottfried Küssel zu einer Veranstaltung einlud und auf dessen Verteiler sich eine Person mit einer Mailadresse der Polizei befand.

Vergangenen Samstag gab es eine nicht angemeldete Kundgebung von Aktivist*innen, die neben der Auflösung des Verfassungsschutzes auch Aufklärung über die Kontakte zwischen Gottfried Küssel und einem Polizisten forderten. Die Polizei war mit einem großen Aufgebot zur Stelle.
Demo in Wien.
Foto: Markus Sulzbacher

Vergangene Woche wurde durch STANDARD-Recherchen bekannt, dass es sich bei dem Adressaten um jenen hochrangigen Polizisten handelte, der gemeinsam mit seiner Einheit am 28. Februar 2018 die BVT-Razzia durchführte. Der Beamte war damals für die FPÖ als Gemeinderat tätig.

Seitens des Innenministeriums gibt man sich recht schweigsam zu der Aussage, dass jemand mit Polizeimailadresse Kontakte zu einem der bekanntesten Rechtsextremen des Landes hat. Auf Anfrage, ob dieser Kontakt bekannt sei und wie das bewertet werde, heißt es in einer Stellungnahme lapidar: "Sofern dem Verfassungsschutz strafrechtlich relevante Sachverhalte bekannt werden, werden diese umgehend bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht." Zum Adressaten der E-Mail gibt es keine Auskunft. Man bittet "um Verständnis, dass zu konkreten Personen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Aussagen getätigt werden können".

Gottfried Küssel (Mitte) im Jänner 2023 bei einer Corona-Demo in Wien.
Gottfried Küssel (Mitte) im Jänner 2023 bei einer Corona-Demo in Wien.
Foto: STANDARD/R.

Eine Reaktion, die verwundert. Schließlich gilt Küssel als eine Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene, die seit Jahrzehnten unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Dass er mit einem hochrangigen Polizisten in Kontakt steht, ist für die Grünen höchst aufklärungsbedürftig. Sie wollen mithilfe einer parlamentarischen Anfrage Antworten von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP).

Kontakte zwischen Rechtsextremen und der Polizei

Kontakte von Beamten in rechtsextreme Kreise sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Ende des vergangenen Jahres trat ein Polizist, der nebenbei als Studierendenvertreter tätig ist, als Organisator einer Veranstaltung mit rechten Publizisten an der Universität Wien in Erscheinung. Zuletzt sorgte ein pensionierter Polizist für Aufsehen, der über Jahre sehr offen rechtsextreme Propaganda auf Facebook verbreitete.

Küssel trat in den vergangenen Jahren mit der "Corona Querfront" bei Anti-Covid-Protesten ebenso in Erscheinung wie bei einem Begräbnis eines ehemaligen SS-Mannes. In seinem Umfeld finden sich Personen, die meist klandestin agieren. Sie treten mit verschiedenen Namen auf, nennen sich "Infokanal Deutschösterreich", "Unwiderstehlich", "Radio Deutschösterreich", "Sozialismus Jetzt" oder "Gruppe für Sport und Technik". Die Gruppe ist eine Art Überbleibsel der neonazistischen Webseite "Alpen-Donau-Info" – orthodoxe Nationalsozialisten, deren Leitbild das 25-Punkte-Programm der NSDAP ist. Dementsprechend ist ihr Antisemitismus unverhohlen. Aktuell kampagnisieren sie gegen vermeintlich jüdische Wohnungsspekulanten in Wien, setzten sich für die Freilassung eines Osttiroler Neonazis ein oder tauchen am Rande von Antifa-Demonstrationen auf. Zusätzlich unterhalten sie enge Kontakte zur deutschen Neonazipartei Der III. Weg sowie ins Kampfsport-, Motorradrocker- und Hooliganmilieu. Von den Identitären und der FPÖ halten sie hingegen wenig. Trotzdem tauchen Personen aus Küssels engstem Umfeld bei deren Demonstrationen auf.

Beamtin als Feindin markiert

Die ehemalige BVT-Mitarbeiterin Sibylle G. ist so etwas wie eine Intimfeindin der Gruppe. Auf Telegram wurde sie als Feindin markiert, und es wurde versucht, sie und ihre Aussagen zu diskreditieren. Zuletzt vor ihrer jüngsten Aussage im U-Ausschuss.

Als G. 2018 im U-Ausschuss zur BVT-Razzia aussagte, wurde sie vom damaligen FPÖ-Politiker Hans-Jörg Jenewein fotografiert, der damals als freiheitlicher Vertreter im Ausschuss saß. Mittlerweile ist er aus der FPÖ ausgetreten. Die Aufnahme soll Jenewein dann an den ehemaligen Verfassungsschützer Egisto Ott weitergeleitet haben, mit dem er "enge Kontakte" unterhielt. Das geht aus Akten des Bundeskriminalamts hervor, das gegen Jenewein und Ott ermittelt. Garniert hatte er die Aufnahme mit unfreundlichen Aussagen.

Aufnahmen von schutzwürdigen Personen

Die Ermittler vermuten, dass Jenewein Ott dazu angestiftet habe, besonders "schutzwürdige" Personen zu fotografieren. Denn er hat auch weitere BVT-Beamte fotografiert. Jenewein bestreitet, Ott angestiftet zu haben. Für beide Männer gilt die Unschuldsvermutung.

Ott steht im Zentrum der Russland-Spionageaffäre, er soll unter anderem Informationen und Diensthandys hoher Beamter des Innenministeriums für den flüchtigen Wirecard-Manager und mutmaßlichen russischen Agenten Jan Marsalek besorgt haben. Ott bestreitet, Straftaten begangen zu haben. (Markus Sulzbacher, 25.4.2024)