Derzeit ist das Thema Rechtsextremismus in aller Munde. In Deutschland wie in Österreich wird vor dem Hintergrund einer zunehmenden Gunst der Wähler:innen für AfD und FPÖ intensiv diskutiert. Selbstverständlich erreicht die Debatte auch den öffentlichen Raum. So fanden jüngst in beiden Ländern große Demonstrationen gegen Rechts statt – zuletzt in Wien am 26. Jänner. Diese Veranstaltungen können als deutliche Signale in der Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus interpretiert werden.

Dass auch rechtsextreme Strömungen zunehmend um den öffentlichen Raum kämpfen, ist spätestens seit 2014 ersichtlich. Damals begannen die Pegida-Märsche in Dresden, organisiert von der gleichnamigen Bewegung, die mittlerweile vom sächsischen Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch. Ein aktuelleres Beispiel ist etwa die rechtsextreme Teilhabe am "Anti-Corona"-Milieu. Im Zusammenhang mit den restriktiven Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-Pandemie kam es in Wien zu Massenprotesten, welche sich nicht nur gegen die Regierung richteten, sondern auch gleichermaßen gegen Expert:innen und gegen die Wissenschaft per se.

Das Lueger Denkmal in Wien
Die Verbindung von Ansätzen der Politischen Theorie mit Bezug zur Forschung hinsichtlich der Erinnerungskultur kann einen sinnvollen Beitrag leisten, um den von rechts geführten Kampf um Deutungsmacht greifbar zu machen.
APA/ROLAND SCHLAGER

Der öffentliche Raum als Spiegel der Gesellschaft

Nicht immer sind die Eingriffe in den öffentlichen Raum von Rechtsaußen allerdings so spektakulär wie die Pegida-Demonstrationen, die regelmäßig mehrere tausend Teilnehmer:innen umfassten. So vollziehen sich die Interventionen in die öffentliche Sphäre in mitunter weitaus subtilerer Form – ohne Massenaufläufe und nicht immer begleitet von einem großen Medienecho. Generell ist der öffentliche Raum ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer Kontroversen, wie an den aktuellen Demonstrationen aber auch an den Debatten über eine angemessene Gestaltung dieses Raumes abzulesen ist. Die Debatten reichen jedoch weit über bloße architektonische und stadtplanerische Fragen hinaus, da sie wichtige gesellschaftliche Kernthemen unserer Zeit berühren. Das zeigen auch die aktuellen Diskussionen um problematische Straßennamen und Denkmäler. So gerieten jüngst einige (fast ausschließlich) männliche Namensgeber in den Fokus der Kritik, die mit den demokratischen Idealen Freiheit, Gleichheit und Solidarität nicht vereinbar zu sein scheinen.

Genau hier kommt die Neue Rechte und ihre antidemokratische, von Antisemitismus, Sexismus und Nationalismus geprägte Weltsicht ins Spiel, indem sie – wie im Falle des Karl-Lueger-Denkmals in Wien – Partei für die Erhaltung dieser Denkmäler und Straßennamen ergreift und sich zugleich gegen Diversität, gegen eine inklusive Gestaltung öffentlicher Räume positioniert. Ergo ist der von rechts geführte Kulturkampf auch ein Kampf um die Gestaltungshoheit öffentlicher Räume. Ist es vielleicht übertrieben, von einem "Denkmalkult" zu sprechen, so lassen sich einige aktuelle Beispiele für die Bedeutsamkeit von Denkmälern in der gegenwärtigen Agitation der Rechten finden. Daher lohnt sich eine politikwissenschaftliche Betrachtung jener Prozesse, durch welche rechte Parteien und Gruppierungen in Deutschland und Österreich derzeit gezielt Bedeutungsaufladung im öffentlichen Raum betreiben. Hierzu ist folgende diskurstheoretische Perspektive hilfreich, die den Rahmen meiner Masterarbeit zu Erinnerungsorten der Neuen Rechten bildete. Die Neue Rechte verstehe ich dabei als Diskursgemeinschaft, deren vergangenheitspolitisches Kennzeichen die Vermeidung explizit positiver Bezüge zum Faschismus beziehungsweise Nationalsozialismus ist. Sie umfasst unter anderem Akteur:innen von AfD sowie FPÖ und ragt zum Teil in extremistische Milieus hinein.

"Heimat" – ein leerer Signifikant

Der Kernpunkt meiner Analyse ist das Konzept des "leeren Signifikanten". Das ist ein Begriff in der Diskurstheorie, der sich auf ein Wort oder Symbol bezieht, welches unterschiedliche, oftmals sogar widersprüchliche Bedeutungen für verschiedene Menschen haben kann. Der leere Signifikant ist das zentrale Element eines Diskurses, der verschiedene Ansichten und Ideen verbindet. Obwohl er selbst keine eindeutige oder feste Bedeutung hat, ermöglicht der leere Signifikant es, einen gemeinsamen Bezugspunkt innerhalb eines bestimmten Kollektivs zu schaffen.

Was die Neue Rechte in Deutschland und Österreich anbelangt, lässt sich gegenwärtig "Heimat" als ein solcher Oberbegriff ausmachen. Dabei handelt es sich natürlich um nichts grundsätzlich Neues: besonders die FPÖ hat diesen Begriff vereinnahmt und versteht sich seit der Zeit Heinz-Christian Straches als "Soziale Heimatpartei". Heimat ist so gesehen eine äußerst wirksame Bezeichnung, die an sich zwar recht vage ist, gleichwohl aber spezifische, ideologische Assoziationen weckt und zur politischen Abgrenzung, also zur Bestimmung der eigenen Identität dient. Kurzum vereint die Rechte in Deutschland und Österreich derzeit in ihrem Heimatverständnis ihre ideologischen Positionen, verpackt sie jedoch "weicher", als dies noch in den 1990er Jahren der Fall war. Damals waren offen antisemitische und rassistische Aussagen in rechtsextremen Kreisen die Regel, etwa bei der bundesdeutschen Partei NPD, die sich mittlerweile in "Die Heimat" umbenannt hat. Der heutige Heimatdiskurs dient dagegen vor allem der Abgrenzung im rechten Parteienspektrum gegen einen vermeintlichen "Multikulturalismus" oder auch "Globalismus", welcher der Wahrung der nationalen Identität entgegenstehe. Freund und Feind werden hierdurch klar benannt, ohne dabei offen antidemokratisch oder antisemitisch zu agieren.

Politische Positionierung durch räumliche Bezüge zur Vergangenheit

Wichtig ist nun zudem die Erkenntnis, wonach politische Gemeinschaften immer Erinnerungsgemeinschaften sind. Dies bedeutet, dass sich deren Identität maßgeblich aus miteinander geteilten Narrationen über die Vergangenheit speist. Zusammengefasst lässt sich also feststellen, dass der rechte Heimatdiskurs auch ein Diskurs über Vergangenheit also wesentlich ein Erinnerungsdiskurs ist. Gerade die Bezugspunkte kollektiver Erinnerung sind es, die sich im öffentlichen Raum widerspiegeln und ihn mitgestalten, womit wir die Brücke schlagen können zwischen ideologischen, politischen Positionen und Denkmälern. Es darf sonach im Hinblick auf die Neue Rechte kaum verwundern, dass der Aktivist Martin Sellner 2020 in Reaktion auf die Proteste am Karl-Lueger-Denkmal zu Nachtwachen an diesem aufrief, die völkische AfD-Subgruppierung "Der Flügel" von 2015 bis 2017 ihre jährlichen Treffen am Kyffhäuser-Memorial in Thüringen abhielt oder die FPÖ-Führungsriege 2018 ein nur auf den ersten Blick anachronistisch wirkendes "Trümmerfrauen"-Mahnmal unweit der Hauptuniversität Wien einweihte. Denn hier verräumlichen sich die antisemitischen, völkischen und sexistischen Narrative der Neuen Rechten, insofern sie in steinernen Erinnerungsorten gerinnen. Diese Orte machen den Heimatdiskurs mithin im öffentlichen Raum erfahrbar, ohne dass die Rechte klar erkennbar judenfeindlich, nationalistisch oder sexistisch in Erscheinung tritt. Mit anderen Worten findet hier eine politische Positionierung vorwiegend durch räumliche Bezüge zur Vergangenheit statt.

Wissenschaftlich erfassen lässt sich dieser Prozess der Bedeutungsschaffung durch die Verknüpfung des Raumbegriffs von Ernesto Laclau mit dem Begriff der "Erinnerungsorte" des französischen Historikers Pierre Nora. Durch Verräumlichung antisemitischer Narrationen in Erinnerungsorten wie etwa der Figur Karl Lueger erhält die Weltsicht der Rechten im wahrsten Sinne des Wortes Substanz. Als Teil dieser findet die völkische Reichsmythologie am Kyffhäuser-Denkmal ihren passenden Ort und der in rechten Kreisen omnipräsente Sexismus kristallisiert sich am Mythos Trümmerfrau, der einerseits einer fortwährenden nationalen Opfererzählung und andererseits der radikalen Reduktion von Frauen auf die Rolle als "Spenderin des Lebens", oder schlicht als Mutter dient.

Zusammenfassend zeigt sich, dass die Verbindung von Ansätzen der Politischen Theorie mit Bezug zur Forschung hinsichtlich der Erinnerungskultur einen sinnvollen Beitrag leisten kann, um den von rechts geführten Kampf um Deutungsmacht greifbar zu machen und verstehen zu können. Dabei geht es um ein Verständnis der Funktionsweise rechter Vergangenheitsnarrative und des konfliktgeladenen Prozesses, durch den sie im öffentlichen Raum sichtbar werden; Kampf um kulturelle Hegemonie bedeutet – nicht nur für die Rechte – immer auch Kampf um den öffentlichen Raum. (Christopher Carl, 3.5.2024)