Sie sind ins Smartphone vertieft und tragen Jeans: Thomas J. Price' Heroen des Alltags fallen vor allem durch die Erhöhung ihrer Gewöhnlichkeit auf.
Sie sind ins Smartphone vertieft und tragen Jeans: Thomas J. Price' Heroen des Alltags fallen vor allem durch die Erhöhung ihrer Gewöhnlichkeit auf.
Thomas J Price

Wer neben Thomas J. Price' Skulpturen Aufstellung nimmt, fühlt sich auf einmal ziemlich klein – nicht nur, weil seine Kunstwerke bis zu drei Meter Höhe messen, es liegt auch an der Präsenz, die sie ausstrahlen. Es sind hyperrealistische Figuren, direkt aus dem Leben gegriffen, ungeschönt alltäglich in Jeans und T-Shirt unterwegs, oft ins Smartphone vertieft oder ein Selfie schießend. Sie könnten einem genau so in der U-Bahn oder in der Warteschlange begegnen. Und: Sie sind schwarz, ausschließlich. Die über Jahrhunderte eintrainierten Sehgewohnheiten von in weißgrauen Stein gehauenen weißen Heroen auf dem Denkmalsockel, sie sind sofort durcheinandergebracht. Nun aber danach zu fragen, warum Price ausschließlich schwarze Menschen darstellt, wäre dumm, denn niemand würde einen weißen Künstler fragen, warum er nur Weiße abbildet.

"Heroen des Alltags" nennt der britische Künstler Thomas J. Price seine Dargestellten. Es handelt sich um keine realen, sondern imaginierte Personen, zusammengedacht aus Alltagsbeobachtungen. Gerade die ihnen eingeschriebene anonyme Gewöhnlichkeit und der oft teilnahmslos abgewandte Blick bekommen in der Überhöhung eine physische Präsenz, die den fahnenschwingenden Reiterdenkmälern früherer Jahrhunderte mit ihrer behaupteten Wichtigkeit längst abhanden gekommen ist. Dass die marmorweiße Skulptur gar nicht altgriechischen Ursprungs ist (die Antike war bunt bemalt oder bronzefarben), sondern im späteren Klassizismus, der Hand in Hand mit rassistischen Theorien ging, quasi neu erfunden wurde, sei an dieser Stelle auch erwähnt.

Price schafft seine Skulpturen in Marmor, Bronze oder vergoldetem Aluminium.
Kunsthalle Krems

Thomas J. Price, 1981 in London geboren, kennt diesen abgestandenen Heroismus des alten Europa natürlich zur Genüge aus seiner Heimat. Er selbst will diesen aber nicht einfach nur auf schwarze Menschen übertragen, vielmehr mache er "Skulpturen über Statuen", wie er sagt. Mit jedem Werk wird also immer auch die Denkmalkultur früherer Jahrhunderte kritisch kommentiert, ja abgelehnt. In Großbritannien ist Price ein aufstrebender Star der figurativen Kunst, dem immer öfter die Möglichkeit gegeben wird, seine Skulpturen auch im öffentlichen Raum als Denkmäler umzusetzen. Die ihm in der Kunsthalle Krems von Leiter Florian Steininger gewidmete Soloausstellung ist nun die erste in Kontinentaleuropa, sie läuft bis 22. September und wird im Anschluss nach Rotterdam und Bristol weiterwandern.

Bäuche, Hohlkreuz und gezeichnete Gesichter

Price' Anfänge liegen eigentlich in der Performancekunst, gezeigt wird etwa das Video einer Aktion, in der er die weißen Wände einer Galerie so lange ableckt, bis die Zunge wund wird und er Blutspuren mit dem Gestus informeller Malerei hinterlässt. Von diesem körperlich-expressiven Aktionismus verabschiedete er sich aber, kam übers Studium von Katalogen über antike Bildhauerei zu eigenen Plastiken: vor allem Porträtbüsten aus Bronze, vergoldetem Aluminium oder Marmor.

Frisuren sind bei Price Träger von Identität und Charakter.
Thomas J Price

Die tempelartige weiße Säulenarchitektur in Krems erzeugt zusammen mit den in Reih und Glied angeordneten Werken die Anmutung einer Ruhmeshalle. Wenn es bei antiken Büsten die Bärte sind, über die sich oft Identität und Charakter vermittelt, sind es bei Price die vielen unterschiedlichen Frisurmoden, die seinen Figuren Lebendigkeit geben: Braids und Cornrows, glattes Haar, kurze wie lange Krause oder einfach ein schlichter Alltagszopf. In seinen lebensgroßen Nacktskulpturen lässt Price entgegen dem klassischen Körperkult Realismus walten, was auch heißt: Bäuche und Hohlkreuz, Falten, traurige, vom Leben gezeichnete Gesichter, die Körperhaltung einmal niedergedrückt, dann wieder heroisch stolz inklusive Spiel- und Standbein.

Selfie in Alltagskleidung: Thomas J. Price zeigt einfache Straßenszenen.
Kunsthalle Krems

Man kann seine Skulpturen auch als zu plakativ, als auf den schnellen Effekt setzend empfinden. Derartige Erwartungen will Price aber beständig brechen. Beispielsweise sei der heutige Druck auf schwarze Künstler, unbedingt figurativ zu arbeiten, um der weißen Kunstgeschichte jahrhundertelange Ignoranz zurückzuzahlen, groß. Deswegen schlägt er immer wieder Haken und wird ganz abstrakt: Dann entstehen monolithisch-kubische Werke, denen er Symboliken einschreibt, oder expressionistische Malerei, bei der er sich an den Bewegungen der Augen, eines für ihn ganz wichtigen Körperteils, orientiert. In seinen Stop-Motion-Trickfilmen lässt Price die modellierten Büsten dann auch blinzeln. Egal ob still oder animiert: Diese Statuen berühren. Das lakonische Robert-Musil-Wort von den Denkmälern, die nur dadurch auffallen, dass sie einem nicht auffallen? Hier gilt es sicher nicht. (Stefan Weiss, 3.5.2024)