Najib Mikati, Ursula von der Leyen, Nikos Christodoulides in Beirut
Ein Deal mit dem Libanon soll Flüchtlinge aus Syrien daran hindern, nach Zypern und damit in die EU zu gelangen. EineMilliarde Euro verspricht die Union dafür. Darum ging es am Donnerstag beim Besuch von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis beim libanesischen Ministerpräsidenten Najib Mikati in Beirut.
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Das komplexe Regelwerk des neuen Migrationspakts könnte den Eindruck erwecken, dass sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nun endlich dazu verpflichtet haben, ihre Hausaufgaben zu machen. Doch einige zentrale Reformelemente werden nur dann funktionieren, wenn man sich auf die Kooperationsbereitschaft der Herkunfts- und Transitländer verlassen kann.

Wie nachhaltig sind also die neuen Regeln? Zum einen wurden die Dublin-Kriterien, die festlegen, welcher Mitgliedsstaat für einen Asylantrag zuständig ist, nur minimal geändert. Das Prinzip des Erstankunftslands bleibt ganz im Sinne nordwestlicher EU-Länder verankert. Zum anderen wird es leichter sein, Asylsuchende zurück in das Einreiseland zu bringen, so sie dort bereits registriert wurden. Vor allem Länder an den EU-Außengrenzen werden nun neben regulären auch verpflichtende Grenzverfahren durchführen müssen.

Kein Konsens

Die neue Asylverfahrensverordnung sieht jedoch eine erweiterte Definition des "sicheren Drittstaats" vor. Asylanträge können demnach als unzulässig erklärt werden, wenn Antragstellende aus einem sicheren Drittstaat kommen, wo sie Schutzstatus bekommen könnten, und es bewiesen werden kann, dass sie aufgrund familiärer Beziehungen oder früherer Aufenthalte eine "bedeutende" Verbindung zu ebenjenem Land haben. Zwar besagt die Verordnung auch, dass Anträge nicht a priori abgelehnt werden sollten, wenn klar ist, dass ein Drittstaat die Person nicht zurücknehmen wird. Aber gerade deswegen werden Länder an den Außengrenzen ihre Bemühungen ankurbeln, bilaterale Abkommen zwecks Rückübernahme abzuschließen.

All das deutet auf eine zentrale Schwachstelle des Pakts hin: Eine Reform der Rückführungsrichtlinie wurde mangels Konsens im Parlament vorerst verschoben. Zwar gibt es eine "Return border procedure"-Verordnung, die eine schnellere Entscheidung und Rückführung nach einem negativen Bescheid vorsieht, allerdings könnte mangelnde Kooperation die Rückführung erschweren. Sobald die Maximaldauer einer Schubhaft erreicht wird, muss Zugang zum Territorium gewährt werden. Diese Aspekte lassen die Effektivität von Abkommen wie mit Albanien äußert fraglich erscheinen.

"Die Beispiele Tunesiens und Ägyptens zeigen, dass EU-Finanzmittel lediglich als Almosen betrachtet oder sogar abgewiesen werden, was die erwünschte Hebelwirkung erheblich schwächt."

Darüber hinaus gibt es auch eindeutige politische Impulse zu mehr Externalisierung, also der Verlagerung von Asylverfahren oder Verantwortung für Grenzkontrollen in Drittstaaten. Neben dem Abkommen zwischen Italien und Albanien wird etwa in Deutschland eine Entscheidung zur Machbarkeit Ruanda-ähnlicher Abkommen erwartet. Unter ungarischem und dänischem EU-Ratsvorsitz wird das Thema weit oben auf der Agenda stehen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie die europäischen Konservativen (EVP) haben bereits angekündigt, im nächsten Mandat den Abschluss von Migrationsabkommen zu priorisieren. Nach Tunesien, Mauretanien und Ägypten sind nun Marokko und der Libanon dran.

Die Beispiele Tunesiens und Ägyptens zeigen jedoch, dass EU-Finanzmittel lediglich als Almosen betrachtet oder sogar abgewiesen werden, was die erwünschte Hebelwirkung erheblich schwächt. Zudem ist die Beweisgrundlage dafür, dass solche Abkommen Rückführungen maßgeblich erleichtern oder irreguläre Ankünfte reduzieren, äußerst dünn. Die durchschnittliche Rückführungsrate liegt zwischen 20 und 30 Prozent. Fragen rund um die zweckgemäße Nutzung von EU-Geldern sowie mögliche Konsequenzen für die strategische Autonomie Europas werden zentral sein.

Hohe Kosten

Viel Zeit und Ressourcen werden in den Abschluss von Rückführungsabkommen investiert, die eigentlich für die Umsetzung des Pakts benötigt werden. Neben zwei Milliarden Euro EU-Zuschuss müssen Mitgliedsstaaten eigene Gelder bereitstellen. Bei den unverhältnismäßig hohen Kosten für eine Auslagerung, wie das Beispiel Großbritanniens zeigt, ist es mehr als fraglich, ob diese Gelder nicht besser für andere Zwecke eingesetzt werden könnten, wie etwa in die Aufstockung von Personal oder neue Aufnahmezentren. Andernfalls könnte dies zu vermehrter Sekundärmigration in Länder wie Österreich führen.

Zudem fehlt eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den möglichen Konsequenzen der Migrationskooperation angesichts der sich stark verändernden geopolitischen Lage. Der transaktionale Zugang birgt die Gefahr, strategische Abhängigkeiten zu verstärken. Aus klima- und energiepolitischen Gründen erscheint eine engere Zusammenarbeit mit Nachbarländern essenziell, nur sollte sich die EU dadurch in der Migrationsfrage nicht erpressbarer machen. Der Libanon, wo erhebliche wirtschaftliche und militärische Unterstützung von der EU versprochen wurden, könnte zu einem Testfall werden. Die Union sollte weitere Hilfen davon abhängig machen, dass syrische Flüchtlinge unter verbesserten Bedingungen bleiben können und eine Rückkehr außer Frage bleibt. Mehr legale Einwanderungswege nach Europa, inklusive Resettlement, wären nicht nur ein wichtiges politisches Zeichen, dass die Bedürfnisse der Partnerländer ernst genommen werden. Sie würden auch aufzeigen, ob die EU27 tatsächlich bereit sind, mehr globale Verantwortung zu übernehmen, oder ob Europa sich auch in Zukunft nur auf die Eindämmung irregulärer Migration beschränken möchte. (Helena Hahn, 3.5.2024)